Leidet ihr auch unter dem Perfektionismus? Einerseits treibt er uns zu Höchstleistungen und ist hilfreich dabei, exzellente Ergebnisse zu erzielen. Andererseits kostet er uns so viel Kraft und kann uns manchmal den letzten Nerv rauben. Denn: die letzten 20 Prozent benötigen nun mal 80 Prozent der Zeit oder Energie, wie das Paretoprinzip uns lehrt.
Um eines direkt mal klarzustellen: Mir geht es nicht darum, keine qualitativ hochwertige Arbeit mehr abzuliefern. Ganz im Gegenteil. (Stellt euch nur mal vor, ein Auto würde mit lediglich 80 Prozent Qualität gebaut werden. Oder ein Flugzeug.) Aber ich wünsche mir, dass wir aus freien Stücken unser Bestes geben, voller Freude, Respekt und Sorgfalt. Und ja, wo nötig auch mit einer Portion Gelassenheit. Denn all das führt zu einem exzellenten Ergebnis. Doch wo Zwang und Besessenheit herrschen, regiert der Perfektionismus. Und dann fehlt beim Resultat häufig die Seele, was dein Gegenüber spüren kann.
Als krasser Perfektionist musste ich jedenfalls auf die harte Tour lernen, loszulassen und auch das Unvollkommene zuzulassen und wertzuschätzen. Denn, und das ist die Essenz: Wir sind alle unvollkommen. Wir können nichts erzwingen. So manches steht außerhalb unserer Macht. Mir selbst und anderen das einzugestehen, fällt mir manchmal echt schwer.
„Better done than perfect“ ist ein Zitat, das mir sehr früh bewusst machte, wie sehr ich unter dem Perfektionismus litt. Ein Zitat, das mir vor Augen führte, wie viele Projekte ich nicht angehe, weil ich sie perfekt machen möchte – aber dazu gerade keine Zeit, keine Energie, kein Geld – oder schlicht keine Begabung und Erfahrung habe. Kennst du das auch?
Genauso ging es mir auch in Bezug auf diesen Podcast. Seit über einem Jahr denke ich darüber nach, rede ich davon, lese ich darüber, höre ich sie mir an, diese tollen Podcasts. Und je mehr ich sie höre, desto besser werden sie – und desto gehemmter werde ich. „Das schaffe ich nie“, kommt dann in meinem Kopf hoch. „Doch doch, du musst nur besser sein als die anderen. Dann ist es auch nicht peinlich“, schießt mir als nächstes durch den Kopf.
Tatsächlich ist beides Quatsch. Einfach machen. Einfach loslegen. Einfach ausprobieren. Scheitern, Lernen, Besser werden. Ich muss nicht der Beste werden, muss nicht perfekt werden, schon gar nicht beim ersten Mal. Ich darf mich über andere Podcasts freuen – und mich selbst ausprobieren und die Freiheit genießen, etwas Neues machen zu dürfen, etwas Neues zu wagen, dessen Ausgang ungewiss ist. So ganz ohne Erfolgsdruck, ohne Menschenfurcht, ohne den Perfektionismus, der einen daran hindert, überhaupt endlich mal den ersten Schritt zu gehen.
2006 war ich ein Jahr lang in Indonesien. Dort habe ich eine Menge fürs Leben gelernt; ein Satz, der mir ganz besonders hängen geblieben ist, ist „Coba saja“, zu Deutsch: Probier’s einfach mal. Unter diesem Motto habe ich die unterschiedlichsten kulinarischen Genüsse und Kuriositäten kennengelernt. Und auch darüber hinaus habe ich gelernt, dass mich „Einfach mal machen“ meistens weiterbringt als Bedingungen und Ausreden zu bemühen, die mich davon abhalten, loszulegen.
2019 veröffentlichte ich temporär eine Grafik auf Twitter, inspiriert vom großartigen Typografen Erik Spiekermann, „Nobody is perfct“. (Die Grafik schenkte ich mit einem Augenzwinkern einem Ehepaar zur Hochzeit. Ich weiß nicht, wie sie das fanden.) Witzig war ein Kommentar, der mich voller Ernst auf den Tippfehler im Satz aufmerksam machte. Entweder hatte er keinen Sinn für Humor oder die tiefere Botschaft dahinter einfach nicht verstanden.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir einen gesunden Umgang mit unserem Perfektionsdrang bekommen und ihn in förderliche Bahnen lenken können. Denn wie heißt es so schön? Wer wagt, gewinnt.